Geschichte des Wichernhauses Bad Harzburg

Historie

Seit dem Jahre 1877 bestand in Bad Harzburg, begründet von dem später in Holzminden wohnhaften Superintendenten Rudolf Jeep, die Kinderheilanstalt, die in den langen Jahren ihrer Tätigkeit Tausenden von Kindern (im Gründungjahr 186 Kinder, 1900 bereits 364 Kinder) Genesung oder Kräftigung bringen konnte. Im Jahr 1906 wurde der Anstalt die Rechtsform der Stiftung gegeben.

Während des 2. Weltkrieges von 1939 bis 1945 diente die Kinderheilanstalt als Lazarett. Seit dem 01.07.1945 hat der Stiftungsvorstand die völlig ausgeplünderte Anstalt wieder in eigene Verwaltung übernommen, um sie – der Not der Zeit entsprechend – mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde vorübergehend als Heim für alte, minderbemittelte oder hilfsbedürftige Frauen und Männer, insbesondere Renten-, Fürsorge- oder Unterhaltshilfeempfänger, namentlich Flüchtlinge und Evakuierte, zu nutzen. Auf einstimmigen Antrag des Stiftungsvorstandes hat der Rat der Stadt Bad Harzburg am 02.07.1954 beschlossen, den Stiftungszweck der Anstalt – den seit ca. 10 Jahren bestehenden tatsächlichen Verhältnissen entsprechend – nunmehr endgültig in den Betrieb des Altersheimes umzuwandeln.

Im Laufe der folgenden 60 Jahre ist hier ein Lebensort für 149 Senioren entstanden. Der Gebäudekomplex ist durch eine kontinuierliche Bautätigkeit (1968, 1977,1995 und 2001) auf vier Häuser angewachsen. Das Haus aus der Gründungszeit ist inzwischen überbaut worden. Zentral gelegen sind die Gebäude von großzügigen Gartenflächen umgeben.

Im Jahr 2005 ist erst eine, im Jahr 2007 eine zweite Wohngruppe entstanden, in der ausschließlich demenziell erkrankte Menschen wohnen und ihre besonderen Bedürfnisse den Tag bestimmen.

Im November 2010 ist der Betrieb einer Tagespflege unter dem Dach der Evangelischen Stiftung Wichernhaus aufgenommen worden. Hier stehen 22 Plätze für Menschen zur Verfügung, die den Tag in angenehmer und anregender Gesellschaft verbringen möchten, aber noch in ihren Wohnungen verbleiben wollen.

In den verschiedenen Bereichen der Einrichtung arbeiten etwa 130 Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen. Wir können stolz darauf sein, dass in jedem Jahr langjährige Mitarbeiter geehrt werden dürfen.

Die Evangelische Stiftung Wichernhaus ist Mitglied im Diakonischen Werk in Niedersachsen.

Seit dem 01.07.2014 werden Seniorenheim und Tagespflege von der Wichernhaus gGmbH betrieben.

Auch die Wichernhaus gGmbH ist Mitglied im Diakonischen Werk in Niedersachsen.

Die evangelische Stiftung Wichernhaus bildet die alleinige Gesellschafterin und fungiert als Kontroll- und Aufsichtsorgan.

Zum Namenspatron:

Johann Hinrich Wichern
Theologe und Sozialreformer

1808 21. April: Johann Hinrich Wichern wird als ältester Sohn des Notars Johann Hinrich Wichern Senior und dessen Frau Caroline Maria Elisabeth (geb. Wittstock) in Hamburg geboren.

1814 Aufgrund der Kampfhandlungen im Zuge der Befreiungskriege gegen Napoleon flieht die Familie für ein halbes Jahr aus Hamburg.

1818-1826 Nach dem Besuch einer Privatschule erhält Wichern Unterricht am humanistischen Gymnasium "Johanneum" in Hamburg.

1823 Tod des Vaters. Er muss sich als ältester Sohn um den Lebensunterhalt der Familie kümmern. Zu diesem Zweck beginnt er Nachhilfeunterricht zu geben.

1826-1828 Wichern wird Erzieher an einer privaten Internatsschule. Zusätzlich besucht er das Akademische Gymnasium in Hamburg, um dort sein Abitur nachzuholen. In dieser Zeit wird er stark von der Hamburger Erweckungsbewegung geprägt. Diese betont in besonderem Maße die Bekehrung und den individuellen Glauben des Einzelnen, woraus eine praktische christliche Lebensweise abgeleitet wird.

1828-1832 Studium der Theologie in Berlin und Göttingen. Er wird von wohlhabenden Förderern aus der Erweckungsbewegung, unter anderen von dem Hamburger Senator Martin Hieronymus Hudtwalcker (1787-1865), finanziell unterstützt.

Während seines Studiums lernt er in Halle die von August Hermann Francke (1663-1727) gegründeten "Franckeschen Stiftungen" und in Berlin die von Hans Ernst von Kottwitz (1757- 1843) gegründete Armenbeschäftigungsanstalt kennen.

1832 Er wird Oberlehrer an einer Sonntagsschule im Hamburger Stadtteil Sankt Georg. Der junge Theologe tritt freiwillig einem Besuchsverein bei und trifft im Rahmen der Vereinstätigkeit die Eltern der Sonntagsschulkinder zu Hause. Dabei kommt er erstmals mit Massenarmut und Elend der Menschen, dem Pauperismus, in Berührung. Wichern entschließt sich, ein "Rettungskrankenhaus" in Hamburg zu errichten.

1833 Gründung des "Rauhen Hauses" in Hamburg-Horn - ein so genanntes Rettungshaus für gefährdete Jugendliche, die er nach den modernen pädagogischen Prinzipien seiner Zeit in familienähnlichen Kleingruppen zu erziehen suchte. Es ist die erste Einrichtung dieser Art in Deutschland, die durch einen breiten Hamburger Freundeskreis finanziell unterstützt wird.

Wicherns Konzept verbindet gesellschaftliche Sozialfürsorge mit einer "Erneuerung" des individuellen Glaubens. Geprägt durch die Erweckungsbewegung sieht er die Armut der Kinder als Folge von deren Sündhaftigkeit an. Um diese zu überwinden, legt er besonderen Wert auf die geistige und religiöse Erziehung der Kinder. Gleichzeitig werden sie in der Anstalt aber auch unterrichtet, gehen täglich arbeiten und werden individuell betreut. Durch dieses zweistufige Konzept werden die Kinder einerseits geistig und religiös betreut, aber auch gleichzeitig auf ihr späteres Berufsleben vorbereitet.

1835 Hochzeit mit seiner ersten Mitarbeiterin, Amanda Böhme. Aus der Ehe gehen acht Kinder hervor.

1839 Errichtung des "Brüderhauses", einer sozialpädagogischen und religiösen Ausbildungsstätte für so genannte Diakone, den Sozialarbeitern im kirchlichen Rahmen.

Um den Kindern während der Adventszeit das Warten auf Heiligabend zu erleichtern, montiert Wichern vier Kerzen auf ein Wagenrad, die an den Adventssonntagen nacheinander angezündet werden.

1844 Gründung der "Agentur des Rauhen Hauses", welche die "Fliegenden Blätter aus dem Rauhen Hause" herausgibt. Sie werden das zentrale Publikationsorgan der Einrichtung.

1848 22. September: Auf dem ersten evangelischen Kirchentag in Wittenberg drängt Wichern auf die Behandlung von sozialdiakonischen Fragen. Er hält seine richtungsweisende "Stegreifrede", die letztlich zu einer organisatorischen Vereinigung der diakonischen Bemühungen der evangelischen Kirche führt. Er formuliert das Ziel, die durch die Folgen der Industrialisierung ausgelöste Verarmung und Entfremdung der Arbeiterschaft von der Kirche zu überwinden. Der Bildung des Einzelnen räumt er dabei einen großen Stellenwert ein.

Oktober: Wichern fährt mit acht Helfern in das Hunger- und Typhusgebiet Oberschlesiens und richtet "Rettungsstationen" für die dort betroffenen Menschen ein.

11. November: Ein provisorischer Centralausschuss tritt zusammen, der die Vorbereitungen für eine strukturelle Bündelung der "Inneren Mission" in der evangelischen Kirche trifft.

1849 8. Januar: Der "Centralausschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche" konstituiert sich. Veröffentlichung seiner Reformschrift: "Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation".

1851 Wichern wird Beauftragter der preußischen Regierung für die Reformierung des Gefängniswesens.

1857 Er wird als "Vortragender Rat der Strafanstalten und des Armenwesens" in das preußische Innenministerium berufen. Seine Reformvorschläge zur Verbesserung der Haftbedingungen werden aber nur teilweise verwirklicht. Berufung zum Oberkirchenrat in dem Evangelischen Oberkirchenamt, der zentralen Kirchenbehörde in Preußen.

1858 Wichern wird Präsident des "Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche". Gründung des Brüderhauses "Johannesstift". Dort findet die Ausbildung der Gefängnismitarbeiter statt.

1864-1871 Während des Deutsch-Dänischen Kriegs, des Deutschen Kriegs und des Deutsch-Französischen Kriegs ist Wichern für die Auswahl und Ausbildung der Felddiakone der preußischen Armee zuständig.

1872 Rückkehr nach Hamburg. Er nimmt die Leitung des "Rauhen Hauses", die er nie ganz abgegeben hatte, wieder vollständig auf.

1874 Wichern erleidet mehrere Schlaganfälle und muss alle seine Ämter niederlegen.

1881 7. April: Nach weiteren Schlaganfällen stirbt Johann Hinrich Wichern in Hamburg-Hamm.